Die Callas — Beschreibung einer Leidenschaft

von Claudia Wolff

Regie: Barbara Entrup
Mit: Brigitte Röttgers, Christa Rossenbach
Produktion: SDR/NDR/WDR/SFB 1987
Sendeversion: 54'
Onlineversion: 82'30

Eine Autorin geht ihrer persönlichen Leidenschaft auf den Grund. Ihr Feature sprengt die journalistische Norm und ist Hommage und Verteidigung zugleich.

Den ersten Teil des Features können Sie oben im Player hören, der zweite Teil ist hier.

 

Das Portrait einer berühmten Stimme. Das zu einer Feature-Legende geworden ist. Im Vordergrund stehen Tonaufnahmen von Maria Callas. Studioaufnahmen und Mitschnitte von verschiedenen Auftritten. Immer in der Rolle, nie im Interview. Das Feature versucht zu ergründen, was diese Stimme und diese Bühnenpersönlichkeit Maria Callas so einzigartig machte. Warum sie offenbar in der Lage war, viele Menschen auf eine ganz besondere Weise anzusprechen. Was sie von anderen Diven oder auch gewaltigeren „Stimmwundern“ auf der Opernbühne unterschied. Kurz gesagt: Worin ihre eigentliche Qualität als KÜNSTLERIN bestand. Denn „Die Callas“ ist keine neutrale Annäherung, sie ist, wie der Untertitel schon suggeriert, die Hommage eines Fans – in diesem Falle der Autorin – die sie gegen kritische Einwände verteidigt und als „Enthusiastin“ auch im Stück auftaucht. Diese Einwände werden personalisiert und von der Gegenstimme eines „Skeptikers“ – auch der „Nüchterne“ genannt – vorgebracht. Allerdings auch schnell wieder vom Tisch gefegt. Der Autorin stehen dazu schwergewichtige Fürsprecher von Ingeborg Bachmann über Werner Schröter bis Jürgen Kesting zur Seite. Und immer wieder die Callas selbst, die mit ihrer stimmlichen Präsenz die Aufmerksamkeit ganz auf sich zieht.

Dieses Portrait ist in mehrfacher Hinsicht faszinierend. Es ist auf eine Weise geradezu konventionell: Seinem Tonfall nach klar in der Tradition des Kulturfeatures verhaftet, setzt es auf ein ausgewogenes Maß von Unterhaltung und Gelehrsamkeit, schreitet biografisch chronologisch voran. Von der Gesangsschülerin Maria Callas – „groß, fett, fast blind“– über den Zenit Ende der 50er Jahre bis zur gefallenen Diva am Ende ihres Lebens und kostet die dramatischen Momente, die der Lebenslauf der Callas zu genüge bietet, gerne aus, manchmal auch psychologisierend. Besonders ist das Portrait unter anderem deshalb, weil es absolut parteiisch ist. Es setzt sich souverän über die journalistische Vorgabe der ausgewogenen Darstellung hinweg. Wir begegnen einer Autorin, die tage- und nächtelang Musik hört, wie im Fieber und sich mit allem was sie hat hinein stürzt in ihr Thema. Und GERADE dieser unkaschierter „Enthusiasmus“ bringt hier das Neue hervor, ermöglicht die Vertiefung des Nachdenkens, des Zuhörens, öffnet die Tür. Für Gedanken über die Gestaltung von Klanggesten, über den Unterschied zwischen dem „sinnhaften“ und dem „schönen“ Ton oder „Bewegungsintelligenz“ auf der Bühne. Die zweite wichtige Besonderheit dieses Features ist die Dominanz des O-Tons in Form von zahlreichen, oft minutenlang freistehenden Gesangspassagen der Callas. Zuallererst lernt man die Person über ihre Stimme kennen. Wird selbst zum Lauschenden, zum Forschenden. Das investigative Interview, das dem Biografen in der Regel neue „Enthüllungen“ verspricht, spielt hier hingegen keine Rolle. Darum geht es nicht, kein bisschen. Und vielleicht ist das auf den zweiten Blick auch gar nicht sehr überraschend;  Claudia Wolff war über Jahrzehnte eine bedeutende Radiopersönlichkeit. Als Autorin, nicht als Funktionärin. Sie stand für eine wache, linke, angriffslustige Publizistik, die sich immer wieder an Lebenslügen der Bundesrepublik abarbeitete. Und sie hatte dabei eine tief in ihrer Biografie verankerte bildungsbürgerliche Seite, eine Liebe zur klassischen Musik. In diesem Feature steht letzteres im Vordergrund, ohne das ersteres stumm bliebe. Es ist gelehrt, aber nicht belehrend. Und sehr persönlich in seiner Hingabe an den Gegenstand. Claudia Wolff, das wird schon nach den ersten Minuten klar, hat die Callas nie getroffen, jedenfalls nicht jenseits der Opernbühne. Sie hat nicht nach „Wegbegleitern“ gesucht, um neue biografische Details zu erfahren. Sie hat bei der eigenen Wahrnehmung angesetzt, hat diese Eindrücke an anderen Quellen (Schröter, Bachmann, Kesting) gespiegelt, sehr viel gehört, gelesen und nachgedacht. Und heraus kommt dabei nicht nur ein umwerfendes Portrait der Callas. Sondern auch ein Feature, das grundsätzlich zu Gesangskunst und Oper – und vielleicht auch zum Wesen des Künstlertums – einiges zu sagen hat.

Tanja Runow

Biografie

Claudia Wolff, geboren 1941, studierte Literaturwissenschaft und Philosophie. Seitdem arbeitet sie als freie Autorin und war über Jahrzehnte eine der prägenden Stimmen der deutschen Kultur- und Radiolandschaft. Schreibt vorwiegend für den Rundfunk: Features, Essays, Kommentare, Glossen für den WDR und andere Sender der ARD. 2004 erschien außerdem ihr Buch „Letzte Szenen mit den Eltern“ im Verlag Antje Kunstmann. Claudia Wolff ist seit 1994 Mitglied der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg und lebt in Heidelberg.

Ausgewählte Radiostücke

„Dachschäden. München 72 – eine deutsche Olympiade.“ ( Co-Autor Horst Taubmann)
(WDR/SDR/RB 1972)

„Die Callas – Beschreibung einer Leidenschaft“ (SDR/WDR/SFB/NDR 1987)

„Mengeles Kiefer. Klarsfelds Küche. Skizzen zum Verschleiß der Erinnerung.“
(WDR/SDR/SFB/NDR 1988)

„Krise und Kränkung: Die kritische Intelligenz. Skizzen zur linksdeutschen Selbstaufklärung.“ (WDR/SDR/SFB/NDR 1991)

„Cosima Wagner , geborene Liszt, geschiedene von Bülow“
(SDR/WDR/NDR/SFB 1998)

„Im Abstammungsglück. Greise Szenen“ (WDR/SWR/SFB/DLR 2001)

 

Stichwörter: 

Oper; Musik; Biografie

 

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