So long good-bye
von Harun FarockiRegie: Harun Farocki
Mit: Achim Baumann
Produktion: WDR 1978
Länge: 47‘35
Eine Ikone des Dokumentarfilms mit einer Radioarbeit, bei der Popmusik buchstäblich dekonstruiert wird. Extrem nah und extrem analytisch zugleich.
1977. Die Hansa-Tonstudios in Berlin. Hat nicht genau in diesem Jahr an diesem Ort David Bowie „Heroes“ aufgenommen? Was könnte man sich da für Features vorstellen – Legenden, Anekdoten, Rock’n Roll. Doch Harun Farocki zeigt uns ein ganz anderes Bild.
Drei Tage lang sind wir Zeuge der „Serienproduktion einer Single-Schallplatte“. So drückt es der Erzähler aus, mit fester, entschlossener Stimme, in der auch dégout mitschwingt, gesprochen von Achim Baumann. Dieser Erzähler ist mit klarer Haltung und kapitalismuskritischem Vokabular ausgestattet. Dass er die Plattenproduktion, die er begleitet, für ein geist- und seelenloses und rein profitorientiertes Unternehmen hält, macht er von Anfang an klar. Aber er ist kein Verlautbarer linker Deklarationen, wie es sie zu dieser Zeit häufig gibt. Er hat wache Augen und Ohren, und er hat Empfindungen.
Die Szenerie, durch die er uns führt, ist in ihrer Einheit von Ort und Zeit geradezu aristotelisch. Drei Tage im Studio, und er schneidet alles mit. Seine Mittel, dieses Material zum Sprechen zu bringen und seine Haltung dazu deutlich zu machen, sind ganz einfach. Er folgt der Chronologie. Er will kein Drama zeigen, sondern die erstarrte Routine der Serienproduktion. Also lässt er nacheinander die Musikerbrigaden aufmarschieren, die jeweils ihre Spuren beisteuern. Mit ihren Kollegen kommen sie nicht in Kontakt, am weiteren Ablauf der Produktion sind sie nicht beteiligt, und abliefern sollen sie ausschließlich Standardware: den Euro-Disco-Sound, mit dem zu dieser Zeit Gruppen wie Boney M. erfolgreich sind. Was sie Schicht für Schicht einspielen, soll die Leute auf die Tanzfläche locken. Farocki zeigt ihr Making Of, aber so, dass sie als kalt konstruierte Dutzendware erscheint.
Die Typen haben schon mehr Charakter. Der abgebrühte Toningenieur, den nichts mehr schocken kann. Und als Gegenspieler der redselige, fahrige Produzent mit seinem markant schlechten Englisch. Zusammen mit dem Abklatsch von amerikanischer Discomusik, den sie fabrizieren, zeigen sie eine Piefigkeit, die man von den legendären Hansa-Tonstudios nicht erwartet hätte. Als dann Sharon, die Sängerin, ins Studio kommt, wird aus der Werksdoku eine Tragikomödie. Zwar ist ihre Stimme soulig, wie es das Genre verlangt, aber sie kommt mit der Textverteilung nicht klar und der Produzent macht mit seinen dilletantischen Anweisungen alles nur noch schlimmer. Der Schrei aus Frust, Erschöpfung und Überdruss, in dem die vergeblichen Versuche, eine Textzeile einzusingen, kulminiert, gehört zu den magischen, enthüllenden Momenten, wie sie der O-Ton zeigen kann.
Über vierzig Jahre später traf ich Harun Farocki zum Gespräch über diese Produktion. Dem grimmigen Ernst, mit dem seine Erzählerstimme der 70er Jahre ausgestattet ist, setzt der Farocki der 2010er Jahre manche Relativierung entgegen. Radio war nur eine Durchgangsstation, es hat sich auf lange Zeit nicht gerechnet. Seine damalige Lesart einer reinen Industrieproduktion ergänzt er durch die Erinnerung an den Discobesitzer in Hannover, der mit seinem ahnungslos und ohne vorheriges Proben durchgeführten Manöver schon wieder ein bisschen sympathisch wirkt. Vor allem aber seinen damaligen Erzähler will er nicht mehr gelten lassen, das schlaue nachträgliche Kommentieren eines im Moment aufgenommenen Tones habe er sich schon lange abgewöhnt. Und doch, die grundlegende Beobachtung sieht er heute genauso wie damals. Die Art, wie das „im Stil eines kleinen Handelsunternehmens“ arbeitende Projekt Schicht für Schicht einen Standardsong zusammenschraubt, gilt ihm als „Verwohlfeilerung der Ware“ im Marxschen Sinn – der Betrieb wird durch die Industrialisierung entfremdeter und das Produkt schlechter. Und vor allem das Zitat von Franz Jung, mit dem der damalige Erzähler schließt, sieht Farocki heute ganz genau so. „Alles, von der Wiege bis zur Bahre, ist in Musik eingewickelt.“
Muss man das alles heute nicht ganz anders sehen? Ist das ganze Verfahren im Vergleich mit der heutigen Produktion von Popmusik nicht rührend altmodisch, haben die Bläser, Streicher und Chorsängerinnen nicht eine geradezu gildenmäßige Handwerkskunst, die heute ausgestorben ist, und haben nicht die 70er Jahre „the art of studio“ in die Musik eingeführt, für die Farockis kapitalismuskritische Analyse blind ist? Und überhaupt: macht der in jedem Aspekt dieser Produktion extrem greifbare Sound der 70er Jahre Farockis Stück nicht zu einem Kuriosum – können wir es mit heutigen Ohren überhaupt ernst nehmen?
Die Antwort deligiere ich an die Hörerinnen und Hörer – die nach Belieben weiterdenken können. Es geht ja nicht nur um Musik und Pop. Es geht um Herstellung von Illusionen, Traumfabriken, Eingespannten in ein System. Mir persönlich bleiben zwei Dinge. Zum einen passiert hier etwas, das wir oft erfahren haben bei der Recherche zu „Wirklichkeit im Radio“: Vergangene Gegenwarten, die damals eingehend beobachtet wurden, lassen sich heute erinnern und verlieren etwas von ihrer historischen Patina. Schlichter gesagt: die 70er Jahre werden hier lebendig, und zwar nicht als Klischee wie in unzähligen Dokus, sondern auch durchaus in ihren banalen und unansehnlichen Seiten. Und das zweite: das Hören dieses Stücks macht wach, weil man direkt dabei ist. Und die kritische Autorenhaltung distanziert nicht, sie bringt einen noch näher heran ans Geschehen.
Ingo Kottkamp
Harun Farockis Rückblick auf „So long-goodbye“ im Jahr 2010
Biografie
Harun Farocki (1944-2014) gehörte zu den wichtigsten deutschen Dokumentarfilmern. In Filmen, Installationen, Schriften, einer umfangreichen Lehr- und Kooperationsstätigkeit und für eine Zeit lang auch im Radio setzte er Impulse, die nachhaltig weiter wirken: unter anderem im Harun Farocki Institut, das Dokumentarschaffende vernetzen und seine Praxis, Film als Erkenntnisinstrument zu nutzen, erforschen und weiterentwickeln will.
Seine Lebensdaten: 9. Januar 1944 geboren in Nový Jicin (Neutitschein), gelegen in dem damals von den Deutschen annektierten Teil der Tschechoslowakei. 1966-1968 Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (West). 1974-1984 Autor und Redakteur der Zeitschrift Filmkritik , München. 1998-1999 Speaking about Godard / Von Godard sprechen, New York / Berlin (Zusammen mit Kaja Silverman). 1993-1999 visiting professor an der University of California, Berkeley.
Seit 1966 über 100 Produktionen für Fernsehen oder Kino: Kinderfernsehen, Dokumentarfilme, Essayfilme, Storyfilme. Seit 1996 zahlreiche Gruppen- und Einzelausstellungen in Museen und Galerien. 2007 mit Deep Play Teilnahme an der documenta 12. Seit 2004 Gastprofessor, von 2006-2011 ordentlicher Professor an der Akademie für Bildende Künste Wien. 2011-2014 Projekt Eine Einstellung zur Arbeit, mit Antje Ehmann. Harun Farocki starb am 30. Juli 2014 bei Berlin.
Ausgewählte Radiostücke
„Subjekt? – Objekt? Aus dem Leben des Rentners W. – Ein Porträt“ (WDR 1973)
„Berufsarbeit und Entfremdung – Sechs Studien zum Bewußtsein abhängig Arbeitender“
(WDR 1974)
„Barfüßiges Denken. Berufstätige zu ihrer Arbeit“ (WDR 1976)
„Gespräche mit Zeitgenossen“ (WDR 1976)
„Das große Verbindungsrohr“, Regie: Walter Adler (WDR 1976)
„Das hohe Fenster oder Das Halsband des Todes. Eine Montage“, Regie: Otto Düben (SDR 1977)
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